Lieb und Teuer
Was ich im Puff über das Leben gelernt habe
Buchzusammenfassung von Philipp Probst
Mit Faszination und Freuden las ich das Buch ziemlich schnell durch. Es geht um die Entwicklung Frau Ilans: mit Freude und Tatendrang ins Puff und in den letzten zwei Kapitel, das Anschaffen - abschaffen. Ihre Begründung: meine Vagina sagt nein zum Puff. Als Körpertherapeutin nicht ganz untypisch, aber für mich total überraschend. Für sie Grund genug, nach zwei Jahren als Hure im Puff auszusteigen.
Ihre Suche nach einer genussvollen bis ekstatischen Sexualität geht nach diesem Ausstieg erst wirklich los. Im Puff war es mehr ihre Faszination an Männerkontakten, Betriebsamkeit, Achtung und Anerkennung als Frau und mehr. Andererseits war sie nicht mehr zufrieden, bei einem auf die Klitoris beschränkten Orgasmus stehen geblieben zu sein und dass sich ihre Vagina wie Hornhaut anfühlte.
Slow (langsamer) Sex war jetzt über acht Monate ihr Weg und dazu gehört auch mit Sexstereotypen, wie Sex in unserer Gesellschaft funktionieren soll aufzuräumen. Unsere kulturellen Vorstellungen und Bilder über die Sexualität, drückt Frauen und Männer in eine Matrix (ihr Begriff). Darin ist enthalten was man in der Sexualität tut, resp. nicht tut. Was aber nicht gelernt wird, ist der Austausch über Erfahrungen mit Freunden und Bekannten, dafür wird die Matrix geprägt von der Werbung und Internetangeboten. Frau Ilan räumt mit ganz vielen Klischees auf. Mythologien sind zum Beispiel: der Mann muss Druck in seinen Hoden ablassen können, sonst wird er krank oder ohne Orgasmus kann er nicht überleben, usw. Frau Ilan behauptet dem Gegenüber: ohne Berührung und Wärme überleben wir nicht.
In einem dritten Schritt wollte sich Frau Ilan von der Vorstellung befreien, zum Sex gehört das Penetrieren mit anschliessendem Orgasmus. Diesbezüglich beschloss sie - jetzt mit ihrem Mann - acht Monate kein Eindringen, kein Orgasmus in der Vagina, aber ganz viel Berührungen und streicheln. In diesen Monaten verordneten sie sich beim Penetrieren keine Bewegungen, Schaukeln, Stösse, usw., nur ineinander sein (Penis in der Vagina) und Horchen was sie beide in ihren Genitalen fühlen. Schlussendlich spricht sie davon, wie ihre Vagina weich wurde und wie ihre Genitalien (auch die ihres Mannes) sich selber in Erregung brachte und aus ihnen Erregung bis zur Ekstase wuchsen.
Sie hinterfragt unsere patriarchale Werthaltung und behauptet, das Puff existieren nur dank dieser, resp. dass es in einem Matriarchat nie ein Puff gab. Sie bringt Beispiele, trotzdem finde ich es kulturgeschichtlich zu wenig fundiert untersucht. Sie setzt sich vehement für die Sicht ein: es gibt nicht die Hure und den Freier, beide sind ganz normale Bürgerinnen und Bürger aus dem Alltagsmilieu. In diesem Zusammenhang realisiere ich dir Parallele mit der biblischen Geschichte vom «Verlorenen Sohn», auch hier war er der spezielle Aussenseiter, welcher doch sicher nichts mit mir zu tun hat. Wenn ich das Bild von Rembrandt über diese Geschichte sehe, bin ich jeweils über die Körpernähe vom Vater mit dem jüngeren Sohn sehr berührt, im Gegensatz zu dem distanzierten älteren Sohn im Hintergrund.
Frau Ilan findet, dass die Männer viel mehr als die Frauen in unserer Sexkultur leiden. Die Männer lernen nicht Entspannen und Körperwahrnehmung, die Leistung und das Machbare ist im Vordergrund. Ein Spiegelbild davon in der Sexualität heisst: ich muss Sex machen, versuchen dem gängigen Männerideal zu entsprechen, mit Potenz und eine Latte haben! Der grösste Horror und Verunsicherung für uns Männer, keine Erektion machen zu können. Und wir sollten wissen wie die Frauen zu befriedigen sind. Was jedoch diesem Klischee nicht entspricht: sich im eigenen Körper gut wahrnehmen, unsere Sexualität nicht nur im Kopfkino zu sehen, sie ihm eigenen Körper (von den Genitalien bis zum Kopf) zu spüren und vor allem zu geniessen.
Diese Leistungskultur treibt die Männer ins Puff, da werden sie abgeholt, die Huren sind für sie da. Allerdings in der Regel nur 30 Minuten. Damit läuft auch im Puff ein Programm, eine Matrix: es muss zur Penetration und dem Orgasmus kommen, Stereotypen werden im Puff extrem weitergelebt. Die Männer gehen wieder leer weg, dies sind die Beobachtungen von Frau Ilan. Sie wissen nicht wie zu entspannen und geniessen und werden dazu von den Huren nicht angeleitet.
Frau Ilan behauptet, dass über 80% aller Männer in Deutschland schon einmal im Puff waren, eine aus meiner Sicht sehr gewagte Behauptung. Vielleicht zu subjektiv geprägt durch ihre Zeit im Puff, desto trotz, es würde ja schon genügen, wenn jeder zweite Mann einmal im Puff gewesen wäre, dann wären wir alle Freier (genauso wie wir alle verlorene Söhne sind). Warum Frau Ilan im Puff eine erfolgreiche Hure war, schreibt sie ihrer Zärtlichkeit und Hingabe zu. Sie empfand sich selber genauso suchend wie ihrer Freier und ebenso verunsichert in dem was sie tat.
Mein Fazit:
Frau Stephani Ilans Offenheit und ihre differenzierten Beobachtungen gefallen mir. Was sie über uns Männer schreibt ist sehr beeindruckend. Sie hat aus meiner Sicht einiges sehr wertvolles eingebracht. Der Leistungsdruck und die Matrix (ihr Begriff), wie ein Mann zu ticken hat, resp. wie Sex funktioniert, sind Haltungen, welche ich in der Praxis bei meinen Klienten öfters beobachte. Männer mit Erektionsschwierigkeiten, leiden viel unter Stress, viel Druck durch ihre Männermatrix, vielmals auch durch die Erwartungen ihrer Partnerin bestätigt. Zum Beispiel sollte ein guter Sex mit Penetrieren und Orgasmus enden.
Was Frau Ilan zu wenig oder überhaupt nicht fokussiert, sind die durch «Seitensprünge» verbundenen enormen Verletzungen in den Partnerschaften, in der Regel mit Unehrlichkeit, Lügen und Untreue gekoppelt. Auch wenn dies unsere Leistungsgesellschaft provoziert, ist es doch in der Verantwortung gerade von uns Männer, wo und wie wir unsere Sexualität ausleben. Mir ist diesbezüglich eine Ethik der Treue und Ehrlichkeit absolut wichtig!
Jedoch ein Lebenskonzept, wie es der ältere Sohn in der obenerwähnten biblischen Geschichte auslebte, macht nicht Lebenstauglicher. Genuss blieben diesem Sohn sträflich versagt: Gott ist ein Gott des Geniessens, nicht nur bei Wein, auch bei Sex. Aber wie Wein ein Suchtmittel werden kann, ist dies auch bei Sex der Fall. Daher sollten wir lernen zu geniessen und nicht in der sexuellen Entwicklung stehen bleiben. Ohne Wein können wir leben, die Sexualität nicht zu leben führt öfters bei uns Mannen in ein Doppelleben.
es grüsst sie Philipp Probst (Sexualtherapeut)
Aus "Lieb und Teuer, was ich im Puff über das Leben gelernt habe". 2017 zweite Auflage im FSC Verlag, kann ich zur Wissensvertiefung über den eigenen Körper sehr empfehlen. Nach ihrer Zeit als Hurre und ihrem Studium, machte sie eine körpertherapeutische Ausbildung. Sie versteht es sich auszudrücken, auf was es in der Sexualität ankommt.