Hochsensibel
Die kindliche Seele eines Hochsensiblen
Ich mache mein Herz still… Psalm 131
Meine Seele ist unruhig, meine Gefühle sind instabil, ich fühle mich gehetzt, bedroht und verunsichert von meinen Emotionen. Meine Gedanken springen hin und her, drehen sich im Kreis und jede „Mücke“ in meinem Kopf versucht sich zu einem „Elefanten aufzublasen. Verschiedenste Ängste versuchen Raum einzunehmen, vor allem die Angst vor mir selber, vor meinen Gefühlen, meinen Gedanken und vor meiner Sensibilität! Die Frage „Was wäre wenn…?“ weitet sich aus und überfordert mich.
Verschiedenste Ereignisse liessen die vergangenen 3 Wochen zu einem stürmischen Meer werden. Ich versuchte krampfhaft alles und mich unter Kontrolle zu halten, habe dabei mehr als Vollgas gegeben und bin dabei wieder mal gescheitert. Ich bin wieder mal überfordert mit mir selber, mit meiner Hochsensibilität. Nichts lässt sich mehr filtern, Abgrenzung ist nicht mehr möglich, alles schlägt durch bis in mein Innerstes… in meine Seele und mein Herz.
Wie mache ich mein Herz still? Wie führe ich meine Seele wieder zur Ruhe?
Selbstanklage übernimmt nun die Führung: Warum bist du nur so hochsensibel? Du bist einfach nicht belastbar! Du bist ein Weichei, ein jämmerlicher Waschlappen! Komm reiss dich zusammen! Du bist für diese Welt einfach nicht gemacht…
Ich versuche vor all dem und vor allem vor mir zu flüchten. Ich versuche mit möglichst viel Ablenkung wieder Boden unter den Füssen zu erreichen, aber es gelingt mir einfach nicht. Die Flucht vor mir selber scheitert jedes Mal kläglich und endet darin, dass das ganze Repertoire an körperlichen Symptomen wie ein Orchester zum Auftakt zu spielen beginnt (Schwindel, Kopfschmerzen, Müdigkeit, beklemmte Atmung, Übelkeit, Kribbeln in Armen und Beinen, Einschlafschwierigkeiten, usw., usw., usw.). Mein vegetatives Nervensystem ist wieder mal aus dem Gleichgewicht geraten und depressive Gedanken nebeln mich ein. Die Flucht bringt nichts und endet schlussendlich nur in Erschöpfung und Resignation! Nun liege ich da, gescheitert und gefallen.
Folgender Liedtext kommt wie aus dem Nichts und berührt sanft mein Herz: „Bei Gott bin ich geborgen, still wie ein Kind, bei ihm ist Trost und Heil. Ja, hin zu Gott verzehrt sich meine Seele, kehrt in Frieden ein.“
Die Flucht hat ihr Ende genommen und es ist an der Zeit mir selber zu begegnen. Meine Seele ist wie ein eingeschüchtertes Kind und braucht nun einen barmherzigen Vater, der zuhört, der Verständnis zeigt, der ermutigt, der tröstet und der Geborgenheit schenkt. So wie Gott mir als liebender Vater begegnet, ist es nun an der Zeit, dass auch ich meiner kindlichen Seele als liebender Vater begegne! Ich schwinge die weisse Fahne des Friedens und bin nun bereit mir selber zu begegnen.
Ich versuche „mein Herz nun still zu machen“, wie es schon David im Psalm 131 beschreibt. War David auch hochsensibel? Ein so mächtiger Mann, mit einer so verletzlichen Seele, aber einem so grossen Herzen… ein Mann nach dem Herzen Gottes!
Die Begegnung mit mir selbst ist im ersten Moment schmerzlich, denn sie zeigt auf, wie es mir wirklich geht. Die Konfrontation mit meiner überforderten, verunsicherten, kindlichen Seele und meinem schweren, unruhigen Herzen kosten viel Überwindung. Doch auf wunderbare Art und Weise kommt mein stürmisches Meer, in der Begegnung mit mir selber, langsam zur Ruhe. Eine gewisse leere und Nüchternheit füllt nun den Raum, doch Ruhe kehrt ein, was so gut tut.
Ich bin auf dem Weg zu mir selbst und nehme mich an, wie ich bin!
Habe ich nun versagt, dass ich nicht mehr kämpfe? Nein, im Gegenteil, ich habe den Mut aufgebracht, mich und die Situation in die Hand zu nehmen! Ich zeige Verständnis und Barmherzigkeit mir gegenüber und ich frage meine kindliche Seele was sie braucht.
Was tut dir gut, meine Seele? Was brauchst du mein Herz, damit du still werden kannst?
Meine vernachlässigten Refugien werden mir wieder bewusst und es ist genau jetzt daran, diesen wieder Raum und Zeit zu geben. Und so kommt es, dass ich mit meinem Sohn eine Wanderung auf den „Grossen Mythen“ zum Ziel setze. Eigentlich habe ich momentan überhaupt keinen Antrieb für ein solches Abenteuer, da ich ja immer noch am Boden liege…
Aber es ist nun an der Zeit aufzustehen und mir Gutes zu tun!
In Gottes Schöpfung unterwegs zu sein, verspricht viele Möglichkeiten um zu staunen, aufzutanken und mit sich selber den Weg zu gehen. Als Vater mit seinem Sohn unterwegs zu sein, ist für mich etwas ganz besonderes. Als Vater für meinen Sohn und als Vater für meine kindliche Seele, werde ich mich auf die Wanderung machen und gemeinsam, mit Gott, werden wir seine Schöpfung bewundern!
An einem kalten Herbsttag, früh morgens bei fast 0°C, starten mein Sohn und ich auf unser gemeinsames Abenteuer. Wir sind schon vor 7 Uhr unterwegs, da ich meinem Sohn versprochen habe, Wildtiere zu beobachten, was uns um diese Zeit gelingen sollte. Die Sonne versteckt sich noch hinter den Bergen und die Luft fühlt sich eisig an. Und tatsächlich finden wir eine ganze Schar von Gämsen, wie wenn sie auf uns alleine gewartet hätten!
Meine kindliche Seele fängt an zu staunen und mein Herz füllt sich mit Freude…
…als wir die Gämsen erblicken, welche im Steinhang unterhalb des „Grossen Mythen“ ihr Frühstück geniessen. Es scheint eine ganze Familie mit einigen Jungtieren zu sein, welche uns nun ebenfalls genauestens beobachtet. Wie kleine Kinder steuern wir beide auf die Tiere zu und nähern uns ihnen bis auf 10 Meter. Für meinen Sohn ist dies die erste Begegnung mit Gämsen auf freier Wildbahn!
Nach einer Weile erreichen wir eine gemütlich einladende Holzbank, welche erst gerade in das Sonnenlicht dieses neuen Tages eingetaucht ist. Die wärmenden Sonnenstrahlen durchdringen mich! Diese herrlich sanften Strahlen kommen mir in diesem Moment wie Gottes Hände vor, die mein Herz mit liebe in die Hand nehmen und tragen.
In dieser Gegenwart Gottes füllt sich mein Herz mit dem ersehnten Frieden und wird still. Vergangenes und Zukünftiges legen sich nieder, nur noch der Moment zählt.
Beim Aufstieg zur Bergspitze begegnen wir einem älteren, drahtigen Mann, wahrscheinlich zw. 70 und 80 Jahren. Er ist bereits wieder auf dem Abstieg und passiert uns in forschem, aber ruhigem und gleichmässigem Schritt. Wir werden im später wieder begegnen, bereits wieder auf dem Aufstieg zum Gipfel. In einem kurzen Gespräch mit ihm erfahren wir, dass er heute etwa zwei- bis dreimal hintereinander diesen Berg besteigen wird… und dies mit fast 80, unglaublich!
Ich fasse neuen Lebensmut und neue Lebensfreude! Die schlichte Begegnung mit diesem alten Mann schenkt mir neue Impulse. Mein Leben geht weiter, hat eine Zukunft und einen Weg dazu. Mal Aufstiege, mal Abstiege und immer wieder Pausen um mein Herz still zu machen und meiner Seele zu begegnen. Mir selber zu begegnen und mich anzunehmen wie ich bin!
Wir haben den Gipfel erreicht, mein Sohn und ich, und fühlen uns nahe dem Himmel. Ein Stück Himmel auf Erden! Danke lieber Gott.
Fazit
Die Komfortzone ist bei einem Hochsensiblen klein, ich bin schnell aus ihr heraus! Doch ich stehe nicht mehr am selben Ort wie früher, ich erschrecke nicht mehr so schnell ab vereinnahmenden Situationen. Ich kann viel gelassener damit umgehen und weiss wie wieder aus der Anspannung herauszutreten.
Ich flüchte nicht mehr vor mir, ich begegne meinen stürmischen Gefühlen heute engagierter!